Bei Spaziergängen im Auwald oder in Parks wird man auf „Hiäh”-Rufe des Mäusebussards aufmerksam. Wenn man darauf den Himmel nach dem Rufer absucht und nichts entdecken kann, war es sicher ein anderer Vogel, der uns mit diesem Ruf zum Narren gehalten hat. Beim intensiven Absuchen des Astwerkes der Bäume entdecken wir einen etwa taubengroßen, rötlichgrau gefärbten Vogel mit schwarzweißblau gefärbten Federn an den Flügeln und einer weißlich dunkel gestreiften Kopfhaube. Es ist ein Eichelhäher.
Beim Abflug zeigt er uns, wie immer im Fluge, seinen weißen Bürzel. Der Eichelhäher ist sehr ruffreudig und ahmt gern die Rufe anderer Vogelarten nach. Er ist ein ausgezeichneter Stimmenimitator (Spötter). In Gefangenschaft gehaltene Eichelhäher ahmten Stimmen von Haussperling, Amsel, Grünfink, Dohle und Elster nach. Sie erlernen auch oft menschliche Pfiffe, sogar Töne des Rasenmähers, Babylaute und Kanarienvogelgesang fügen sie in ihr Lied ein. Der angeborene und ererbte Gesang des Hähers ist ein weiches Trillern, welches der Vogel im ruhigen Sitzen oder bei umherstöberndem Hüpfen von sich gibt.
Der Eichelhäher ist unter vielen Volksnamen bekannt. Kleinschmidt (1870-1954, ev. Geistlicher und Biologe) brachte es in einer Zusammenstellung auf 58 verschiedene Bezeichnungen! Hier nur eine kleine Auswahl: Holzhäher, Spiegelhäher, Nussert, Eichelrabe, Eichelkrähe, Holzschreier und Markwart. Er ist ein aufmerksamer Wächter des Waldes. Sein Alarmruf besteht aus einem unüberhörbaren rauen, kreischenden Rätschen. Kommen ihm Menschen im Wald sehr nahe oder macht er einen Feind aus, lässt er laut sein Geschrei ertönen. Ohne es zu wissen und zu wollen, macht er durch dieses Krakeelen andere Tiere auf eine bevorstehende Gefahr aufmerksam, die dann sofort misstrauisch werden und sich verziehen. So kann es geschehen, dass er einem eine seltene Beobachtung anderer Tiere zunichte macht, aber auch, dass sich einem Tiere auf der Flucht zeigen, die man sonst gar nicht bemerkt hätte. Dieses Gehabe hat ihm einen weiteren Namen „Polizist des Waldes” eingebracht.
Auch als “Gärtner des Waldes” ist er im Volksmund bekannt. Wahrscheinlich ist dies auf die Vergesslichkeit des Eichelhähers beim Anlegen von Vorratskammern zurückzuführen, denn oftmals weiß der Eichelhäher nicht mehr, wo er die einst sorgfältig gesammelten und als Wintervorrat eingegrabenen Nüsse versteckt hat. Dadurch hilft er ungemein bei der Verbreitung von Bäumen. In der Vergangenheit soll der Eichelhäher dadurch besonders zur Entstehung und Ausbreitung von Eichenwäldern beigetragen haben. Auch heute noch unterstützt er die Verbreitung von Eichen, Buchen und Haseln – ganz besonders in monotonen Nadelwäldern (wie z.B. den Nutzwäldern in Bayern), wo sonst nur Fichten, Tannen und Kiefern wachsen. Jäger und Förster wissen seine Tat als sogenannte “Hähersaat” zu schätzen.
Gemeinsam mit Kolkrabe, Raben-, Nebel- sowie Saatkrähe, Dohle, Elster, Alpendohle, Alpenkrähe und Tannenhäher gehört der Eichelhäher zur Sippe der Rabenvögel. Zu den Rabenvögeln gehörend, plündert er, genauso wie die Elster, die Nester der Singvögel. Der Eichelhäher ist aber auch ein sehr nützlicher Vogel, denn durch seine Vorratswirtschaft (s.o.), in dem er z.B. Eicheln, Bucheckern und Haselnüsse eingräbt, trägt er dazu bei, dass neue Bäume wachsen.
Wie schon sein Name „Eichelhäher” sagt, bilden die Eichenwälder den bedeutendsten Lebensraum. Aber das besagt nicht, dass er nur an Eichenwälder gebunden ist. Heute bevorzugt er Mischwälder, Waldränder, nistet in Parklandschaften und selbst in Gärten mit alten Bäumen. In jüngster Zeit beginnt er, sich auch in den Städten anzusiedeln, dem Beispiel von Amsel, Singdrossel und Ringeltaube, als ehemalige Waldbewohner, folgend, die hier schon seit Jahrzehnten heimisch geworden sind.
Das Männchen sucht in der Regel den Nistplatz aus, der in kräftigen Astgabeln von Büschen oder Bäumen, selten auch an Gebäuden in Nischen gewählt wird. Das Nest wird aus Zweigen und Aststücken angelegt und innen mit feineren vom Boden aufgelesenen Materialien, wie Tierhaaren oder feinen Wurzeln, ausgestattet. Beide Partner bauen am Nest. Das Gelege besteht meistens aus 3 bis 5 Eiern. Auf graugrünlich oder olivbräunlichem Grund, sind sie dicht mit feinen bräunlichen Flecken gezeichnet, die sich am stumpfen Pol verdichten und hier gelegentlich mit schwarzen Haarlinien, Strichen und Schnörkeln versehen sind.
Die Jungen kommen nach einer Brutdauer von rund 16 bis 19 Tagen nackt zur Welt und werden anschließend von beiden Eltern ca. 20 Tage im Nest mit Nahrung versorgt. In der ersten Woche bilden Raupen, welche von den Eichen geholt werden, sowie Insekten den Hauptanteil an der Aufzuchtnahrung. Normalerweise bringt das Männchen das Futter bereits „zubereitet” in seiner Kehle herbei und übergibt es dem Weibchen. Dieses steckt ihren Schnabel tief in die Kehle der Jungen und übergibt das Futter wahrscheinlich mit der Zunge. Einen Teil behält es im Schnabel und füttert damit das nächste Junge. Futter mit harten Chitinteilen der Insekten behält es im Schnabel und schluckt es selbst. Offenbar wir nur mit Weichteilen gefüttert.
Der Eichelhäher zählt zu den Nesthockern. Am 6. Tag öffnen sie die Augen und am 9. Tag springen die Blutkiele der Flügel auf, die der Schwanzfedern erst zwei Tage später. Am 11. bis 12. Tag ähneln die Jungen schon in vieler Beziehung den Alten: Der blaue Flügelspiegel ist zu sehen, auch das Weiß des Bürzels. Sie sind jedoch erst 6-8 Wochen nach Verlassen des Nestes selbstständig. Eichelhäher werden offenbar im ersten Lebensjahr geschlechtsreif, doch brüten viele auch im zweiten Kalenderjahr noch nicht. Sie leben monogam in einer Saisonehe zusammen.
Die Nahrung des Eichelhähers ist vielseitig. Man kann auch sagen, er ist ein Allesfresser. Die Nahrung besteht aus Insekten, Käfern, Larven, Heuschrecken, Feld- und Maulwurfsgrillen, Wanzen, Raupen, Spinnen, Ohrwürmern, Tausendfüßler und Schnecken, Mäusen, kleinen Vögeln, Vogeleiern, Eicheln, Nüssen, Bucheckern, Beeren, Äpfeln, Mais, Getreidearten und Vogelfutter aus Futterhäusern. In seinem Kehlsack kann er bis zu acht Eicheln gleichzeitig transportieren und nicht selten trägt er noch eine weitere Eichel im Schnabel. Eichelhäher vergraben Eicheln als Wintervorrat im Boden und finden mit ihrem exzellenten Gedächtnis bei Nahrungsknappheit fast alle Eicheln auch unter Schnee wieder.
In Deutschland sind Eichelhäher sehr häufige Brutvögel mit einem Bestand von geschätzten 650.000 Paaren. Allerdings beanspruchen diese Rabenvögel relativ große Reviere, die sie gegen Artgenossen intensiv verteidigen. Als Standvogel bekommt der Eichelhäher im Winter noch Gesellschaft von Artgenossen aus dem Norden und Osten. Bei jungen Eichelhähern ist die Sterblichkeit sehr hoch. 61 % gehen im ersten Lebensjahr zugrunde; doch können einzelne Vögel sehr alt werden: 16 und 17 Jahre sind durch Ringfunde belegt.
Der Eichelhäher gehört zum Jagdwild, ist jedoch in Sachsen und einigen anderen Bundesländern ganzjährig geschont. Während er in Bayern acht Monate im Jahr bejagt wird. Laut amtlicher Statistik erlegten bayerische Jäger in der Saison 2013 über 21.000 Eichelhäher (Stand: November 2013). In den letzten 23 Jahren fielen insgesamt mehr als 600.000 Tiere der Flinte zum Opfer – nicht nur Vogelschützer sind darüber entsetzt. Der Eichelhäher ist wie alle Krähenvögel ein stark umstrittener Vogel, des einen Freund, des anderen Feind. Aber über seinen Weiterbestand brauchen wir uns wohl kaum Sorgen zu machen. Der laute Krakeeler und pfiffige Schlaumeier wird sich behaupten.
Klaus Rost