Stehende und langsam fließende Gewässer sind vielfach von einem Schilfgürtel umrahmt, dessen Breite durch den Tiefenabfall der Uferzone bestimmt wird. Nimmt die Tiefe nur allmählich zu, so kann sich die Schilfzone Hunderte von Metern weit in den See erstrecken. Ein Schilfhalm ist lang, dünn und unverzweigt. Unten steht er im Wasser. Hier ist kein Platz, auf dem ein normaler Baum- oder Bodenvogel sitzen oder gar ein Nest bauen kann. Wer hier leben will, muss „Spezialist“ sein. Im freien Luftraum kann ein Vogel ungehindert umherfliegen. Auch zwischen dem Zweigwerk der Bäume sind genügend Lücken vorhanden um einem geschickten Flieger das Durchkommen zu ermöglichen. Im Schilfgestrüpp stehen dicht bei dicht senkrechte „Stangen“ deren Abstand stets geringer als die Spannweite mittelgroßer oder gar großer Vögel ist, während ihre Festigkeit ein Niederbrechen oder Umbiegen verhindert. In diesen Lebensraum möchte ich Sie heute mitnehmen, da auch hier eine reichhaltige Vogelwelt ihr zuhause hat. Es sind fast alles still und verborgen lebende Kletterer und Schlüpfer, die in der schwankenden Halmwildnis über dem Wasser ein sehr schwer zu beobachtendes Leben führen. Zu hören sind sie dagegen, besonders zur Balzzeit im Frühjahr, schon eher. Es sind die ROHRSÄNGER von denen sich 12 Arten in Europa als Brutvogel aufhalten und in drei Gruppen untergliedern:
- Gestreifte Rohrsänger, zu ihnen gehören die in Deutschland brütenden Seggen- und Schilfrohrsänger.
- Kleine, ungestreifte Rohrsänger mit dem Sumpf- und Teichrohrsänger.
- Große, ungestreifte Rohrsänger zu denen der Drosselrohrsänger gehört.
Die Geschlechter sind nach den Gefiedermerkmalen nicht zu unterscheiden.
Rohrsänger tragen ihren wissenschaftlichen Namen Acrocephalus (bedeutet Spitzkopf) zu Recht, denn der feine spitze Schnabel geht allmählich in den Kopf über, ohne eine abgesetzte Stirn.
Da es im Schilfwald aber keine Äste gibt, sondern nur steil aufstrebende Halme, verstehen alle
Rohrbewohner, vor allem aber die Rohrsänger, mit übereinander den Halm umgreifenden
Füßen steil aufrecht zu sitzen und in dieser Haltung ausgezeichnet, halb rutschend, halb hüpfend, daran auf- und abwärts zu klettern, wobei sie den spitzen Kopf schräg nach oben halten und sich ihr Körper fast spiralig um den Stängel schmiegt. Sie gleiten gewandt durch das Schilf und verbergen sich weder in Bodennähe noch laufen sie auf dem Boden. Als Zugvögel kommen sie fast alle erst, wenn das junge Rohr schon ein Stück emporgewachsen ist, also kaum vor Anfang Mai, aus ihren afrikanischen Winterquartieren zurück und verschwinden im September/Oktober wieder. Rohrsänger eignen sich auch sehr oft als Wirtsvögel für den Kuckuck. Kehrt der Kuckuck im Mai aus dem Winterquartier zurück, haben u.a. die in den Feuchtgebieten lebenden Teichrohr- und Sumpfrohrsänger ihre Reviere bezogen und bereiten sich auf ihre Bruten vor. Denn sie bringen eine Voraussetzung mit: Sie ernähren ihre eigenen Jungen mit Insekten und können auch einen Jungkuckuck mit der für ihn geeigneten Nahrung versorgen.
Der Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus) ist der größte mitteleuropäische, Rohrsänger, er erreicht etwa die Größe eines Stars (etwa 20 cm). Die Oberseite ist einfarbig braun, die Unterseite gelblichweiß und die Kehle weißlich. Er hat einen undeutlichen rahmfarbenen Überaugenstreif. Farblich ist der Drosselrohrsänger dem kleineren Teichrohrsänger sehr ähnlich. Er hat ein großes Verbreitungsgebiet und lebt in ganz Europa mit Ausnahme der Britischen Inseln und Skandinaviens. Als Zugvogel verlässt er im August/September seine Heimat und überwintert in Äquatorial- und Südafrika. Anfang Mai kehrt er wieder zu seinen Niststätten zurück. Er ist überall zahlenmäßig stark vertreten, und seine Anwesenheit verrät schon von weitem der charakteristische Gesang des Männchens, der eigentlich kein richtiger Gesang, sondern ein raues, scharfes Schreien ist. Kein anderer Vogel kann den Drosselrohrsänger übertönen. Wohl wegen seines lautstarken Gesanges mit den oft wiederholten Strophen wird er vielfach kurz als Rohrdrossel oder Rohrspatz bezeichnet, lautmalerisch auch oft als „karrekiet“ oder „Karle Kliet“. Jeder, der den unermüdlichen Schwätzer gehört hat, versteht das treffende Wort: “Er schimpft wie ein Rohrspatz“. Der Drosselrohrsänger besiedelt die Röhrichte stehender Gewässer. Von größeren Schilfflächen werden die wasserseitigen Bereiche bevorzugt, die landseitigen, stärker verlandeten Bereiche hingegen weitgehend gemieden. In Sachsen handelt es sich dabei vor allem um Fischteiche, aber auch um Stauseen und Gewässer in ehemaligen Kies- und Tongruben sowie ehemaligen Braunkohletagebauen in denen 1.200 bis 2.400 Brutpaare siedeln. Sein Nest ist ein, vom Weibchen gebauter, sehr kunstvoller Bau. Es wird meistens 30 – 140 cm über dem Wasserspiegel gebaut. Da die Drosselrohrsänger ihre Nester in einer Zeit bauen, in der das Rohr noch wächst, vergrößert sich der Abstand der Nester vom Wasserspiegel mit dem Wachstum des Rohres. Die Halme, an denen es aufgehängt ist, scheinen durch das Nest zu wachsen. Es wird aus Grasblättern geflochten und mit Schilffasern und den trockenen Blütenständen des Schilfs ausgepolstert. Die verwendeten Schilfhalme werden aus dem Wasser herausgefischt oder vorher in das Wasser eingetaucht, um das Baumaterial biegsam zu machen. Das Nest ist ca. 12 bis 20 cm lang. Die Nestränder sind leicht nach innen gezogen, damit die Brut nicht ins Wasser fallen kann. Ein Gelege umfasst 4 – 6 Eier, die bläulichweiß, bläulichgrün oder grünlichweiß mit violettgrauen Unterflecken, olivbraunen und schwarzgrauen Oberflecken, die gelegentlich am stupfen Pol gehäuft auftreten, gefärbt sind. Gebrütet wird von beiden Partnern 13 – 15 Tage. Beide Eltern füttern die Jungvögel rund 12 Tage im Nest und dann noch eine Zeitlang außerhalb, da die Jungen das Nest verlassen, bevor sie flügge sind. Der Drosselrohrsänger ernährt sich ausschließlich von kleinen Wirbellosen, vor allem von Insekten und deren Larven, Spinnen und kleinen Weichtieren, die er an Wasser- und Sumpfpflanzen findet sowie Amphibien und Beeren. Der älteste beringte Drosselrohrsänger trug den Ring neun Jahre und einen Monat.
Klaus Rost