§ Sie fragen – wir antworten
Bin ich als Vereinsmitglied verpflichtet, an den Mitgliederversammlungen teilzunehmen? Kann der Verein bei Nichtteilnahme gegen mich Sanktionen zur Anwendung bringen?
Die Zuwendung zu dieser Problematik führt nicht selten zur Offenbarung von letztlich kritikwürdigen Einstellungen und Verhaltensweisen eines begrenzten Teils der Vereinsmitglieder, die das Vereinsleben belasten. Und auch das sollte man nicht übersehen, es sind jene, welche auch die Freude an der Ausübung der ehrenamtlichen (!) Vorstandstätigkeit schmälern. Die Bewertung derartiger Einstellungen und Verhaltensweisen und ihre Umkehr ins Positive ist vordergründig keineswegs ein rechtliches, sondern vielmehr ein moralisch-ethisches Problem.
Der Stellenwert der Mitgliederversammlung (MV) als dem bedeutendsten und zugleich höchsten Vereinsorgans – das zeigt die Praxis – wird nicht von allen Vereinsmitgliedern als solches betrachtet und somit auch nicht zum Motivator eigenen Handelns. Insofern stehen nicht jene Vereinsmitglieder im Blickfeld, die aus altersbedingten und/oder gesundheitlichen oder anderen Gründen (wie Urlaub, Familienfeierlichkeiten) nicht an der MV teilnehmen, sondern jene, die es mit der Wahrnehmung, der mit dem freiwilligen Eintritt in den Kleingärtnerverein (KGV) verbundenen Rechte und mit der Erfüllung anerkannter und übernommener Pflichten nicht so ernst nehmen, ihnen teils offen ablehnend gegenüberstehen.
Nicht selten ist das auf Unverständnis und Ablehnung stoßende Verhalten dieser Vereinsmitglieder auch in ihrem Auftreten als Kleingartenpächter anzutreffen.
Da der Gesetzgeber im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in seinen Vereinsregelungen keine Pflichten eines Vereinsmitgliedes begründet, ergeben sich ihre Grundpflichten unmittelbar aus der Vereinssatzung und aus satzungsgemäß zustande gekommenen Beschlüssen der MV.
Es ist herrschende Rechtsmeinung, dass der Beitrittswillige zum KGV, wenn in der Vereinssatzung vorgesehen, verpflichtet ist, einen Aufnahmebeitrag zu entrichten. Das Vereinsmitglied ist verpflichtet, einen Mitgliedsbeitrag zu entrichten, Umlagen und andere finanzielle Zahlungen zu leisten. Darüber hinaus hat jedes Vereinsmitglied persönlich Gemeinschaftsleistungen zu erbringen, die für das Vereinsleben, für den Erhalt und die Verschönerung der Kleingartenanlage (KGA) notwendig sind. Für nicht erbrachte Gemeinschaftsleistungen hat er ersatzweise den dafür vorgesehenen Geldbetrag zu entrichten.
Diese Pflichten können mit vereinsrechtlichen Mitteln – wie Vereinsstrafe – aber auch mit zivilrechtlichen Mitteln – wie Mahn-/Vollstreckungsbescheid oder Leistungsklage – geahndet und durchgesetzt werden. Diesem „Pflichtenkatalog“ werden eine Pflicht zur Teilnahme an der MV und eine Pflicht zur Stimmenabgabe bei Abstimmungen den demokratischen Entscheidungsfreiheiten der Menschen in einem Rechtstaat folgend nicht zugeordnet.
Folglich gibt es keine rechtlich haltbare Basis, aber anzutreffende Positionen und Praktiken, Geldstrafen oder zusätzliche Gemeinschaftsstunden bei Nichtteilnahme an der MV oder fehlender mündlicher oder schriftlicher Entschuldigung anzudrohen und anzuwenden.
Eine zu bejahende moralische Pflicht zur aktiven Teilnahme am Vereinsleben, so auch zur aktiven Teilnahme an der MV – wozu auch die Teilnahme am Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess zu zählen sind – ergibt sich für jedes Vereinsmitglied aus den ihm obliegenden Treue- und Förderpflichten. Jedes Vereinsmitglied trägt eine Mitverantwortung dafür, dass die in der Vereinssatzung bestimmten Zwecke, Ziele und Aufgaben des KGV mit ihren vielseitigen Inhalten und Gewichtungen durch kollektives Handeln ebenso erfüllt werden, wie auch die zum Erhalt und der Entwicklung des KGV und der KGA gefassten Beschlüsse der MV und/oder des Vorstandes.
Eine kritische Haltung an der Vorstandstätigkeit, am Versammlungsinhalt und -ablauf u.ä., die sich abhebt von bloßer Besserwisserei und Nörgelei, sind kein Rechtfertigungsgrund für eine teils jahrelange unentschuldigte oder „fadenscheinig“ begründete Nichtteilnahme an der MV. Vielmehr sollten die das Vereinsmitglied bewegenden Probleme in der MV oder gegenüber dem Vorstand in angemessener Weise kundgetan werden. Aber auch die Vorstände sind gehalten, die Stimmungslage unter den Vereinsmitgliedern zu kennen, zu analysieren und daraus Rückschlüsse für die Vorstandstätigkeit zu ziehen.
Dr. jur. habil. Wolfgang Rößger